Aktion zur Petitionsentscheidung am 3.7. in München

Vor der Bayerischen Staatskanzlei · Donnerstag, 3.7.2025 · 15 Uhr

Am 3. Juli hat der Bildungsausschuss des Bayerischen Landtags unsere Petition „Schluss mit Abfragen & Exen!“ abgelehnt – trotz über 56.000 Unterschriften, breitem Rückhalt aus der Gesellschaft und der klaren Unterstützung durch die größten Schüler-, Eltern- und Lehrerverbände in Bayern.

Diese Entscheidung ignoriert nicht nur die Stimme tausender junger Menschen, sondern auch fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse zur Wirkung von Angst, Druck und veralteten Prüfungsformaten in der Schule. Statt auf Dialog, Forschung und pädagogische Vernunft zu setzen, wurde ein überholtes System verteidigt – zulasten von Lernfreude, Chancengleichheit und psychischer Gesundheit.

Direkt vor der Staatskanzlei trugen wir in einer symbolischen Trauerzeremonie die Schüler:innen-Mitbestimmung zu Grabe – mit echtem Sarg, Trauermusik und schwarzer Kleidung. Der Kabarettist Max Uthoff hielt eine bewegende Trauerrede, in der er den erschreckenden Umgang der Staatsregierung mit Demokratie, Wissenschaft und Menschenbild bloßlegte.

Doch wir blieben nicht in der Trauer stehen: im Verlauf der Aktion kehrte sich das Bild um – wir erklärten, was wirklich beerdigt gehört: die unangekündigten Abfragen & Exen. Denn unsere Hoffnung lebt. Und unser Widerstand auch.

Videoaufzeichnung der Aktion

Max Uthoff’s Rede

„Liebe Brüder, liebe Schwestern, liebe alle dazwischen, liebe Trauergemeinde,

wir haben uns heute hier versammelt, um Abschied zu nehmen. Abschied von der Hoffnung, eine Regierung, die unentwegt das Wort Freiheit im Mund führt, könnte irgendwann begreifen, dass diese Freiheit auch für junge Menschen gilt.

Abschied von der Vorstellung, das bayerische Kultusministerium würde von einem Menschenbild geleitet, in dem alle Menschen gleichwürdig sind, indem auch Schülerinnen ein Recht darauf haben, gehört zu werden in ihren Wünschen, ihren Hoffnungen und auch Ängsten.

Das Menschenbild aber, das das Kultusministerium antreibt, ist eines, in dem die Schülerschaft eine Masse ist, die mit Leistungsdruck und Angst in die richtige Form gezwungen werden muss.

Das Menschenbild aber, das das Kultusministerium antreibt, ist eines, in dem die Schülerschaft eine Masse ist, die mit Leistungsdruck und Angst in die richtige Form gezwungen werden muss.

Bloß nicht die Ergebnisse von 50 Jahren Motivationspsychologie beachten, die klar belegen, dass man mit Angst niemanden zu kreativem Denken anregt. Um Himmelswillen keine Rücksichtnahme auf die Forschung. Selbst wenn Studien der Universität Bayreuth oder eine Metastudie des Bildungsforschers Hattie ergeben, dass Angst ein demotivierender Faktor ist, dass es keinen Unterschied in den Leistungsergebnissen macht, ob Exen angekündigt werden oder nicht, aber die Angst in der Schülerschaft signifikant erhöht wird. Wen kümmert es?

Wir dürfen uns das ruhig mal auf der Zunge zergehen lassen: Das bayerische Kultusministerium und Markus Söder ignorieren die Erkenntnisse der Wissenschaft. Wer möchte da noch künftig als Raumfahrer in einem bayerischen Space Shuttle zum Mond fliegen? Markus Söder, der doch immer besser sein will als andere und damit den Beweis erbringt, dass besser als andere zu sein eben nicht bedeutet, gut zu sein. Er ignoriert die Wissenschaft.

Es war sein Machtwort, Exen beibehalten zu wollen, das versucht hat, die Diskussion über die Petition von Amelie vom Tisch zu wischen. Und er hat dafür keine Begründung geliefert, außer der Feststellung, Exen hätten ihm auch nicht geschadet.

Markus Söder verwechselt Demokratie mit Autobiografie und ich und viele andere haben auch eine Autobiografie und häufig ist sie ganz anders verlaufen als die von Markus Söder.

Ich habe damals ein Giesela-Gymnasium durchlitten, in dem sadistische Physiklehrer sich aus demütigenden Abfragen der Schüler einen Spaß gemacht haben. Die Angst davor, von einer Ex auf kaltem Fuß erwischt zu werden, war ständiger Begleiter des Schulalltags und es waren wichtige Bausteine für meinen Abscheu gegen die Schule.

Ich hatte oft Angst in diesen Jahren und diese Angst hat nur dazu geführt, mich von vielen Fächern abzuwenden und nur noch das Nötigste zu tun, statt mit Neugier und Lust auf die Welt kreativ drauf loszudenken.

Wie kann es sein, dass weder Markus Söder, noch das Kultusministerium, noch der bayerische Philologenverband auch nur ein einziges valides Argument für unangekündigte Exen aufbringen?

Markus Söder verlässt sich auf sein Bauchgefühl. Das bayerische Kultusministerium macht, was Markus Söders Bauch will und der bayerische Philologenverband behauptet aus dem Bauch heraus, unangekündigte Exen bereiten auf die Leistungsgesellschaft vor und unterstützen kontinuierliches Lernen – Behauptungen ohne jeden wissenschaftlichen Befund.

Dieser Freistaat, der doch gerne vor sich hingockelt als Speerspitze der Forschung und Wissenschaft, er weigert sich, die Kenntnisse der Lernforschung umzusetzen.

Und als Gegenargumente bleibt nur die kümmerliche bayerische Trias: „Das haben wir immer so gemacht.“ „Wo kommen wir denn da hin?“ Und: „Das hat mir auch nicht geschadet.“

„Das haben wir immer schon so gemacht“, dürfte die unwissenschaftlichste Behauptung von allen sein, weil sie naturgemäß jede Innovation verhindert.

Und „Wo kommen wir denn da hin?“ äußert die Befürchtung, zukünftige Schülerinnen könnten es mal besser haben als man selbst, weil man das im Grunde nicht will. Meine Mutter hat mir jahrelang gesagt, Junge, ich will doch nur, dass du es mal besser hast als ich. Und als ich es dann besser hatte, hat sie gesagt, so schön wie du möchte ich es auch mal haben.

Und wie sehr ein Umfeld voller Angst und Druck einem Menschen schadet, zeigt sich häufig durch den Satz: „Des hat mir auch nicht geschadet.“ Söder, das Kultusministerium und der Philologenverband wollen keine Veränderung aus einem einfachen Grund: Warum sollte man etwas an einem System ändern, das Menschen hervorgebracht hat, die so großartig sind wie sie selbst?

Die Welt der Erwachsenen, sie muss permanent ihre Lebensweise verteidigen, weil sie sich sonst selbst in Frage stellen müsste. Und für diese Form von Selbstkritik braucht man wirkliches Selbstbewusstsein. Nur woher sollte das kommen? In einer Ellbogengesellschaft, in einem Schulsystem, das auf Leistungsdruck, Angst und dem primitiven Glücksgefühl besser als andere zu sein basiert?

Lassen Sie uns, Brüder und Schwestern, ruhig zugespitzt fragen, wie reformbedürftig muss ein Schulsystem sein, das einen Ministerpräsidenten wie Markus Söder möglich gemacht hat?

Das, was wir heute hier zu Grabe tragen, ist die Erkenntnis, die jeder Demokratie zugrunde liegen sollte, nämlich die Einsicht in die Gleichwürdigkeit jedes Menschen, die tiefe Überzeugung, dass jeder Teilnehmer in einer Demokratie mit den gleichen Rechten ausgestattet ist.

Wer akzeptiert, dass jeder Erwachsene sich nur zu Prüfungen anmeldet, wenn er sich dazu bereit fühlt. Wer weiß, dass Erwachsene auch in unserer Leistungsgesellschaft eben keine unangekündigten Abfragen und Exen ablegen müssen, um nicht gekündigt zu werden und um ihren Job zu behalten.

Und wer dennoch an unangekündigten Exen und Abfragen festhält, der zeigt nur, dass er Schüler:innen nicht für gleichwürdig hält. Der lebt in der festen Überzeugung. Er oder sie wüssten es als Erwachsene eben besser und man hält an dieser Überzeugung fest, obwohl die Welt wie sie von Erwachsenen geschaffen wurde im Moment mit Klimakollaps, Kriegen, Ausrottung der Biodiversität und steindummen Scheußlichkeiten wie dem BMW X7 kein so überzeugendes Argument für diese Einstellung liefert.

Was für ein Menschenbild hat derjenige, der glaubt, Kinder müssten durch Angst zum Lernen gebracht werden? Im Grunde hält so jemand Kinder für faule Menschen, die durch strenge Disziplin und Angst zu vollwertigen Menschen gemacht werden müssen.

Aber niemand lernt durch Angst besser. Absolut niemand. Alle würden durch eine angstfreiere Lernatmosphäre profitieren. Alle.

Lasst uns heute also der Hoffnung ein letztes Geleit geben. Der Hoffnung, Schülerinnen könnten ihren Lebensalltag mitbestimmen. Der Hoffnung, das Bayerische Kultusministerium und sein Oberlehrer Markus Söder würden verstehen, dass in einer Demokratie alle die gleichen Rechte haben und dass Kreativität, Neugier und Erkenntnisse in einer Atmosphäre des Miteinanders blühen.

Die Hoffnung auf mehr Mitbestimmung durch die bayerische Schülerschaft, sie möge in Frieden ruhen.

Amen.“